Eingetragene Lebenspartnerschaften: Rückwirkende Anwendung des Splittingtarfis?

Urteil Finanzgericht Köln vom 25.02.2016 sowie aktuelle Praxishinweise für die Einkommensteuerveranlagung von Lebenspartnern

Autor: Klaus Kügler, Steuerberater

Datum: 29.05.2016

 
1. Einleitung
Mit Beschluss vom 07.05.2013 (2 BvR 909/06; 2 BvR 1981/06; 2 BvR 288/07) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Ausschluss der Lebenspartnerschaften vom Ehegattensplitting verfassungswidrig ist. Das Ehegattensplitting ist somit rückwirkend bis zum Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes zum 01.08.2001 für gleichgeschlechtliche Lebenspartner anwendbar. Hierzu hat der Gesetzgeber § 2 Abs. 8 Einkommensteuergesetz eingeführt:
„Die Regelungen dieses Gesetzes zu Ehegatten und Ehen sind auch auf Lebenspartner und Lebenspartnerschaften anzuwenden.“
Mit diesem Passus erfolgt im Rahmen des Einkommensteuergesetzes grundsätzlich eine vollständige Gleichstellung der homosexuellen Lebenspartnerschaften mit heterosexuellen Ehegemeinschaften. Jedoch besteht die Frage, inwieweit über etliche Jahre bestehende Lebenspartnerschaften von der neuen Rechtslage steuerlich profitieren können oder durch Verjährungs- und Verfahrensvorschriften in der Ausübung ihres Rechts gehindert werden. Zudem wollen wir zum Schluss noch einige kurz gefasste Praxistipps für Ihre Einkommensteuerveranlagung geben.
 
2. Steuerrechtliche Beschränkungen der Rückwirkung
Auch wenn eine Lebenspartnerschaft bereits in 2001 begründet wurde, bedeutet dies nicht, dass ohne weiteres der Splittingtarif nachträglich für alle abgelaufenen Jahre zu gewähren ist. Folgende gesetzliche Hindernisse stehen dem entgegen:
  • Festsetzungsverjährung bei Nichtabgabe einer Steuererklärung: Nach Ablauf von vier Jahren tritt die sogenannte Festsetzungsverjährung ein. Wenn beispielsweise für das Jahr 2001 noch keine Einkommensteuererklärung abgegeben wurde, beginnt die Festsetzungsfrist zum 31.12.2001 und endet nach vier Jahren zum 31.12.2005. Nach dem 31.12.2005 tritt die Verjährung ein und die Abgabe einer Steuererklärung ist nicht mehr möglich. Im besonderen Einzelfall kann eine sogenannte Anlaufhemmung den Beginn der Festsetzungsfrist in die Zukunft schieben. Hieraus kann sich maximal eine Verlängerung der Festsetzungsfrist von weiteren drei Jahren ergeben (also bis zum 31.12.2008). Das Beispiel zeigt, dass viele Veranlagungen bereits verjährt sind. Bis zum 31.12.2016 kann im Regelfall nur noch bis zum Veranlagungsjahr 2012 zurückgegangen werden.
  • Kein Vorläufigkeitsvermerk oder Vorbehalt der Nachprüfung im Steuerbescheid: Sollten in der Vergangenheit Steuererklärungen abgegeben worden sein, kommt eine Änderung nur unter Beachtung gesonderter Korrekturvorschriften in Betracht. Vorausdenkend hat derjenige gehandelt, der sich auf Antrag einen sog. Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Anwendung des Splittingtarifs auf Lebenspartnerschaften in seinen Bescheiden hat eintragen lassen. Die Steuerfestsetzung bleibt vorläufig und änderbar. Wessen Bescheid von Amts wegen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, hat ebenfalls gute Karten. Die gesamte Steuerfestsetzung ist jederzeit änderbar. Die Vorläufigkeit und der Vorbehalt der Nachprüfung enden jedoch mit Ablauf der Festsetzungsfrist, die im Veranlagungsfall hinsichtlich der Länge individuell ausfallen kann (z.B. durch eine sog. Ablaufhemmung verlängert sich die Festsetzungsfrist).
  • Bestandskraft ist eingetreten: Gegen jeden Steuerbescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe ein Einspruch eingelegt werden. Wird kein Einspruch eingelegt und fehlt es an einem Vorbehalt der Nachprüfung, wird der Steuerbescheid bestandskräftig (=unanfechtbar). Nur nach ganz eng auszulegenden Korrekturnormen der Abgabenordnung ist eine Änderung noch möglich. Solange ein Einspruchsverfahren und ggf. ein daran anschließendes Klageverfahren hinsichtlich des angefochtenen Bescheides läuft, ist die gesamte Steuerfestsetzung noch offen. Auf Antrag kann der Splittingtarif berücksichtigt werden.  
 
3. Anwendung anderer Korrekturvorschriften: Urteil des Finanzgerichts Köln vom 25.02.2016
Druckfrisch ist ein Urteil des Finanzgerichts Köln am 25.02.2016 (veröffentlicht am 15.04.2016) ergangen, in dem über die mögliche Anwendung anderer steuerlicher Korrekturvorschriften zur rückwirkenden Anwendung des Splittingtarifs entschieden wurde.
In dem Streitfall sind die Kläger seit 2002 eingetragene Lebenspartner. Beide wurden für die Jahre 2002 bis 2008 unter Anwendung des Grundtarifs jeweils einzeln veranlagt. Die Bescheide beider Partner sind bestandskräftig und stehen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Wäre dem gleichgeschlechtlichen Paar im strittigen Zeitraum der Splittingtarif im Rahmen einer Zusammenveranlagung gewährt worden, hätte sich eine Steuerersparnis von rund 50.000 € für alle Streitjahre ergeben. Die Kläger begehrten die Anwendung der Korrekturvorschrift gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wonach eine Änderung der Steuerbescheide zu erfolgen hat, wenn neue Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen. Den Steuerpflichtigen darf kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen treffen.
Doch das Finanzgericht lehnte die Anwendung der Korrekturvorschrift ab, da eine nachträgliche Änderung einer Rechtsauffassung (Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz) keine neue Tatsache im Sinne der Rechtsprechung darstelle. Zudem fehle es an der Rechtserheblichkeit, denn die damaligen Veranlagungen der Jahre 2002 bis 2008 sind im Einklang mit der damals geltenden Rechtslage ergangen. Stattdessen hätten die Lebenspartner nach Auffassung des Gerichts für die Jahre 2002 bis 2008 z.B. durch Eintragung eines Vorläufigkeitsvermerks ihre Rechte schützen können. Dies sei jedoch nicht erfolgt. Eine Revision zu einer höheren Instanz wurde nicht zugelassen.
Nach der aktuellen Rechtsprechung ist somit keine gesonderte Korrekturvorschrift anwendbar, wenn die Bescheide beider Lebenspartner nach Ablauf der Ein-spruchsfrist bestandskräftig geworden sind.

 

4. Positivliste: Fälle einer möglichen Rückwirkung
Nachdem nun die Fälle beleuchtet wurden, in denen eine Rückwirkung versagt bleibt, sollen in der folgenden Liste die Fälle zusammengestellt werden, die eine rückwirkende Anwendung des Splittingtarifs erlauben:
  • Keiner der beiden Lebenspartner hat bislang eine Steuererklärung abgegeben: Bis zum 31.12.2016 können beide Lebenspartner unter Beachtung der vierjährigen Festsetzungsverjährung noch rückwirkend bis 2012 den Splittingtarif beantragen.
  • Nur ein Lebenspartner hat regelmäßig Steuererklärungen abgegeben: In diesem Fall kommt das oben genannte Urteil des Finanzgerichts Köln nicht zur Anwendung. Für die vergangenen vier Jahre (rückwirkend bis 2012) können die Lebenspartner eine gemeinsame Steuererklärung abgeben und den Splittingtarif beantragen. Die bereits ergangenen und bestandskräftig gewordenen Bescheide gegenüber dem anderen Lebenspartner werden aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aufgehoben.
  • Beide Lebenspartner haben regelmäßig Steuererklärungen abgegeben und der Steuerbescheid eines Lebenspartners ist noch nicht bestandskräftig: Der Steuerbescheid kann aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung oder wegen eines Einspruchs-/Klageverfahrens noch offen sein. Auch hier führt ein rückwirkendes Ereignis zur Aufhebung der bereits bestandskräftig gewordenen Bescheide des anderen Lebenspartners. Im Falle eines bestehenden und ggf. langjährigen Klageverfahrens können sich ganz besondere Vorteile ergeben, da hier die vierjährige Festsetzungsverjährung bis zum Abschluss des Verfahrens gehemmt bleibt. Unter Umständen ergeben sich in diesen Einzelfällen bedeutend längere Zeiträume, in die eine nachträgliche Besteuerung nach dem Splittingtarif durchgesetzt werden kann.
In allen Fällen ist eine individuelle Einzelprüfung des jeweiligen Sachverhalts erforderlich.
 
5. Praxishinweise zur Einkommensteuerveranlagung von Lebenspartnern
Im Folgenden möchten wir noch einige Hinweise zur Einkommensteuerveranlagung von Lebenspartnern geben:
  • Verfahrensrecht: Zuletzt wurde in der Tagespresse noch zunehmend moniert, dass der Gesetzestext der Abgabenordnung noch keine Anpassung hinsichtlich einer Gleichstellung der Lebenspartner erfuhr. In der Abgabenordnung werden wesentliche Grundsätze des Verfahrensrechts geregelt: Wem muss ein gemeinsamer Steuerbescheid wirksam bekannt gegeben werden? Besitzt ein Lebenspartner ein Auskunftsverweigerungsrecht als naher Angehöriger des anderen Lebenspartners? In der Vergangenheit sollen diese und ähnliche Fragen bei manchen Finanzämtern zu erheblichen Verzögerungen im Veranlagungsverfahren bis zur Verweigerung des Erlasses eines Steuerbescheides geführt haben. Zwischenzeitlich hat die Finanzverwaltung reagiert und auf schnellem Weg den Anwendungserlass zur Abgabenordnung geändert. Darin wird ausdrücklich klargestellt, dass sämtliche Vorschriften der Abgabenordnung, die Eheleute betreffen, auch gleichermaßen auf Lebenspartner anzuwenden sind. Finanzbeamte sind in ihrem Handeln an die Vorschriften des Anwendungserlasses gebunden. Sollten Sie bei ihrem örtlichen Finanzamt weiterhin auf Widerstände stoßen, vertreten wir sehr gerne Ihre Interessen.
  • Kindergeld: Die Regelungen zum Kindergeld sind im Einkommensteuergesetz gefasst. Wenn ein schwules oder lesbisches Paar jeweils Kinder in die Lebenspartnerschaft mitbringen, gilt das Älteste als erstes Kind und das Jüngste als letztes Kind. Das Kindergeld steigt mit der Anzahl der Kinder und führt somit zu einem höheren Kindergeldanspruch der Lebenspartner.
  • Beamte: Für homosexuelle Beamte ist nach dem Bundesverfassungsgericht bereits seit 2012 auch der Familienzuschlag zu gewähren. Der Familienzuschlag beinhaltet einen ehebezogenen und einen kinderbezogenen Teil.
  • Steuerklasse: Unterjährig sollten Sie regelmäßig prüfen, ob Ihre Steuerklassenkombination Ihren tatsächlichen Einkommensverhältnissen und Lebensumständen entspricht. Einige Finanzämter stellen eingetragene Lebenspartner nicht automatisch auf die für Eheleute allgemein gültigen Steuerklassen IV/IV oder III/V um. Unterjährig können sich je nach Fall erhebliche Liquiditätsvorteile durch einen Wechsel der Lohnsteuerklasse ergeben.  
 
6. Fazit
Wie man an den verfahrensrechtlichen Beschränkungen bei der rückwirkenden Anwendung des Splittingtarifs auf die Veranlagung von Lebenspartnern erkennen kann, erfolgte eine steuerliche Gleichstellung für homosexuelle Lebensgemeinschaften viel zu spät und nicht im gesetzlichen Gleichklang mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz. Auch bei Eintragung von Vorläufigkeitsvermerken ist in den meisten Fällen für den überwiegenden Teil der Altjahre trotz Urteil des Bundesverfassungsgerichts bereits Festsetzungsverjährung eingetreten.
 
Sollten Sie speziell in Ihrer Angelegenheit eine Prüfung oder Beratung in Anspruch nehmen wollen, helfen wir Ihnen gerne weiter.
Als Ihre Spezialisten halten wir Sie über die zukünftigen Entwicklungen auf dem Laufenden und stehen Ihnen unterstützend zur Seite.  
 
Klaus Kügler
Steuerberater
Gesellschafter-Geschäftsführer der KÜGLER Steuerberatungsgesellschaft mbH
 
 

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